Bundeskongress 2015

Digitalisierung ist nur eine der Herausforderungen

Grundsatzrede des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske
23.09.2015

Mit seiner Grundsatzrede eröffnete der am Vorabend mit 88,5 Prozent wiedergewählte ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske den Mittwoch des 4. ver.di-Bundeskongresses in Leipzig.

In knapp anderthalb Stunden fächerte er die Aufgaben und Probleme auf, die ver.di in diesem und den kommenden vier Jahren angehen müsse. Und um welche Dimensionen es da geht, das machte Bsirske gleich in seinem Eingangssatz klar: „Wir sind gegenwärtig mit vielfältigen Umbrüchen konfrontiert: in der Arbeitswelt wie in der Gesellschaft, in Europa und darüber hinaus. Umbrüche, die verunsichern, aber auch als neue Herausforderungen wahrgenommen werden.“

 

 
Frank Bsirske zeigt sich kämpferisch bei seiner Grundsatzrede Bundeskongress 2015

Konkret nannte er die „fundamentalen Umwälzungen“ infolge der Digitalisierung in der Arbeitswelt und der Gesellschaft insgesamt. Bsirske stellte heraus, dass die Entwicklung weitaus schneller verlaufe, als vielfach angenommen, und „etablierte Unternehmen und ganze Branchen samt ihren Beschäftigten in schwere Turbulenzen“ zu stürzen drohe. Damit seien Arbeitsplätze in Millionenhöhe gefährdet. Dem, so Bsirske, werde die Gewerkschaft ein Konzept entgegensetzen, eine „Agenda für Beschäftigung im digitalen Umbruch“. Darin fordert ver.di insbesondere den Ausbau von Qualifizierungsangeboten und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Schaffung „zusätzlicher Beschäftigung“ vor allem in den sozialen Dienstleistungen, in Bildung, Gesundheit und Pflege steht ebenso auf der ver.di-Agenda. Auch kürzere Arbeitszeiten, sagte Bsirske,  könnten im digitalen Umbruch „ein hilfreiches Instrument sein, Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken“.

Schon jetzt, so der ver.di-Vorsitzende, kennzeichneten „Brüche und Umbrüche auch unsere sozialen Sicherungssysteme: Der Bruch zwischen denen ganz unten und denen ganz oben wird tiefer, dazwischen erfasst Unsicherheit auch Angehörige der Mittelschicht“. ver.di, das kündigte Bsirske an, werde daher „weiter dafür streiten, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse eingedämmt werden“. Mit starkem Applaus bedachten die Delegierten des Bundeskongresses die Ankündigung ihres Vorsitzenden, eine „langfristig angelegte Kampagne“ einzuleiten für eine Rente, die ein Alter in Würde sichert. Schon heute seien immer mehr Rentner gezwungen, zum Sozialamt zu gehen, und jedem dritten Vollzeitbeschäftigten im Land drohe Altersarmut. „Das können und wollen wir nicht hinnehmen“, rief Bsirske den Delegierten zu.

Im Sinne gerechterer Verteilung und zur Gewährleistung eines handlungsfähigen Staates, öffentlicher Investitionen etwa in Bildung und Infrastruktur forderte Bsirske eine andere Steuerpolitik. „Bei der Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften ist Deutschland im internationalen Vergleich heute eine Steueroase“, sagte er und fügte hinzu: „Erben ist keine Privatangelegenheit. Die steigende Einkommens- und Vermögenskonzentration verhindert Chancengleichheit.“

Klare Position bezog der ver.di-Vorsitzende auf die geplanten Freihandelsabkommen zwischen Europäischer Kommission und den USA, TTIP, zwischen EU-Kommission und Kanada, CETA, sowie das Abkommen über Dienstleistungen TISA. Insgesamt, sagte Bsirske, zielten die Abkommen „einseitig auf mehr Wettbewerb und Deregulierung“. Er rief auf zu einer Großdemonstration gegen die geplanten Abkommen am 10. Oktober in Berlin – und bekam dafür den Applaus des Kongresses.

Zum Thema Flüchtlingskrise erklärte der ver.di-Vorsitzende: „Ohne jede Einschränkung muss gelten: Wer Schutz braucht, muss ihn in der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Für uns als Gewerkschaft ist gerade die Flüchtlings- und Asylpolitik zuallererst ein humanitäres Anliegen.“ Die Gewerkschaft ver.di werde sich gegen Versuche zur Wehr setzen, „Flüchtlinge vom Mindestlohn und der Geltung des Arbeitszeitgesetzes auszunehmen und als Lohndrücker einzusetzen“.

Nach der Rede erhob sich der Kongress, die Delegierten applaudierten stehend.

 

Grundsatzreferat